Gleichgewicht

Ohne zu analysieren warum und wieso, sage ich einfach, dass ich früher fast die Luft angehalten habe, wenn es mir gut ging. Ein Gefühl von Unbehagen machte sich breit: „Wie lange kann das wohl anhalten? Wann kommt wieder das „Schlechte“ zum Vorschein? Wann kippt es?“ Diese Angst enstand aus der Erwartung: Wenn es mir gut geht, dann muss es so bleiben. Sprüche hin oder her („Es gehört alles dazu. Alles hat seine Zeit.“ usw.), ich meinte, nur das Gute sei erstrebenswert und auszuhalten.

Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Durch die intensive Auseinandersetzung mit Krisen wurde mir klar: Sie gehören wirklich dazu. Die schwierigen Zeiten sind nicht nur etwas, das ertragen werden muss, im Sinne von Augen zu und durch bis es vorbei ist. Mit offenen Augen und einer akzeptierenden Haltung, kann ich das Beste daraus holen. Ich kann die Krise als Entwicklungschance sehen und Fragen stellen: Was bietet mir diese Situation? Was lerne ich daraus? Wozu ist sie da?

Immer wieder lerne ich was es heißt, geduldig zu sein, Spannung und Unsicherheit auszuhalten — ohne dass ich gleich erstarren oder mich selbst betäuben muss. Alles bewegt sich trotzdem weiter. Wenn ich manchmal mit meinem Verhalten unzufrieden bin, kann ich mit mir schimpfen und mich schämen (das kennt sicher jede bei Rückfällen, z.B.) oder ich kann etwas Abstand schaffen und schauen: Was war? Was ist passiert? Was hätte es bzw. ich noch gebraucht? Kann ich es in Zukunft zufriedenstellender gestalten, so agieren, dass es für mich passt?

Vertrauen erlaubt mir, die schönen Momente angstfrei zu genießen. Es ist wie es ist. Ich brauche mich überhaupt nicht zu fürchten oder darum kümmern, wann es wieder vorbei sein wird.
Alles hat tatsächlich seine Zeit.

Wie ich schon so oft gesagt habe: Gesund werden heißt nicht, dass es keine Probleme mehr gibt. Gesund werden heißt, auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Zu wissen: Ich kann damit umgehen, ich kann mir Hilfe holen, Lösungsmöglichkeiten ausarbeiten — und das aussuchen, was in dem Moment das Beste ist. Und wenn ich später erkenne, ich hätte lieber eine andere Lösung eingesetzt — auch das halte ich aus. Auch daraus lerne ich. Ich gestehe mir zu, Fehler machen zu dürfen. Und egal was passiert, eines weiß ich ganz bestimmt: Die Erde dreht sich weiter und ich löse mich nicht in Luft auf. Ich tüftle weiter mit dem was ist.

Urlaubsreflexion

Es war eine wunderbare Woche — und ist noch nicht zu Ende! Das Kommentar über Kinder hat mich begleitet und ich merke, das hat was! Eine ganze Woche lang kein Soll oder Muss. Wie früher die Schulferien — lange Tage, jeden Morgen erst die Entscheidung: „Was mache ich heute?“ Eine Leichtigkeit und fast Absichtslosigkeit prägte die Stimmung. Fast alles auf der „Liste der Möglichkeiten“ habe ich erledigt — und das mit Freude, da kein Druck vorhanden war.

Meine Tochter habe ich ein paar Mal getroffen und ihr gesagt, dass sie der einzige Mensch ist, den ich getroffen hatte. Erst am Donnerstag kam eine Freundin/ehemalige Arbeitskollegin zum Kaffee und Kuchen vorbei. Wir verbrachten einen gemütlichen Nachmittag und erzählten uns, was sich in den letzten sieben Monaten getan hat — persönlich und bei der Arbeit. Es kam ein Hauch Wehmut hoch als ich mich erinnerte, wie schön die Zusammenarbeit mit dem damaligen Team war. Wir sind uns persönlich sehr nahe gekommen und haben viel miteinander philosophiert. Das war eine schöne Zeit und ich bin dankbar für die Erfahrung.

Viel frische Luft und Sonne tanken war auch eine Möglichkeit, die ich gerne in Anspruch genommen habe. Spazieren, inline skaten, am Balkon in der Sonne sitzen und die Rosen bewundern. Die Rosen sind in voller Blüte und es weht ein himmlischer Duft wenn ich hinaus gehe. Gestern bin ich mit einer Freundin von Bregenz nach Lindau mit den Skates gefahren. Wir hatten so viel zu erzählen, dass uns die 1 1/2 Stunden in jeder Richtung wie höchstens eine halbe Stunde vorkamen. Dort sind wir eine Runde gebummelt und haben auf einer Dachterrasse mit Blick aufs „Meer“ zu Abend gegessen, bevor wir zurück skateten. Am Abend war in Bregenz der Hafenfest. Wir gönnten uns zum Ausklang Pina Coladas, während wir die Musik und den Abendhimmel genossen. Es war fast kitschig schön!

Langsam freue ich mich sogar wieder auf die Arbeit. Die Erholung ist richtig eingefahren. Ich hatte Zeit zu lesen, viel schlafen, einfach zu Ruhe kommen. Nachdem ich das ausprobiert habe, empfehle ich es gerne weiter. Ein Urlaub voller Freiheit, nur mit „Möglichkeiten“ als Programmpunkte, das tut gut! Egal ob wenige Tage, eine Woche oder zwei, Erholung ist möglich!

Das werde ich mir beibehalten, eine solche Liste zu schreiben — vielleicht hänge ich sie wo auf und schreibe einfach etwas dazu, wenn es mir einfällt. Ich denke, das ist auch eine Möglichkeit, vor Fressattacken vorzubeugen. Wie leicht ist es, in eine Attacke hinein zu rutschen, weil „Freizeit“ vorhanden ist und genau in dem Moment fällt keine Alternative dazu ein — vor allem, keine lustvolle Alternative. Manche Fressattacke entsteht nur aus dem Bedürfnis, sich zu entspannen, abzuschalten. Ein Weg aus diesem Verhalten ist, sich vorher zu überlegen, was sonst gut tun könnte.

Will ich damit sagen, dass Fressattacken gut tun? Gewisserweise schon, sonst würden sie nicht vorkommen. Ich meine, sie erfüllen eine Funktion und die Herausforderung ist, diese Funktion zu erkennen und dann andere Alternativen zu finden. Die anderen Alternativen können den Vorteil haben, dass es dir danach auch gut geht — was bei einer Fressattacke kaum der Fall ist. Das Völlegefühl ist unangenehm. Nach dem Kotzen füllt sich kaum jemand wohl — außer, dass eine Erleichterung stattfindet. Abführmittel ist ebenfalls nicht gerade wohltuend.

Sicher, es spielen viele Faktoren mit, und bei einer Essstörung geht es nicht NUR darum, das Verhalten zu ändern. Es waren tiefe seelische Verletzungen, die Heilung brauchten, aber die schlichte Gewohnheit trug ebenfalls dazu bei, dass es bei mir so lange dauerte. Irgendwo kann man anfangen — Verhalten unter die Lupe nehmen und Veränderungsmöglichkeiten ausprobieren, therapeutische Unterstützung holen. Die Entwicklung geht dann oft Hand in Hand — ein bisschen Einsicht, Verarbeitung, und Ausprobieren neuer (oder lang vergessener) Verhaltensweisen.

Bei „lang vergessen“ fällt mir ein — in jeder von uns stecken viele Erfahrungen, Ressourcen, Fähigkeiten, die schlummern, frühzeitig abgewürgt wurden, sich noch nicht entwickeln konnten, oder einfach vergessen wurden. Bei der Genesung (und überhaupt im Leben, wie es oft so ist), müssen wir gar nicht alles neu erfinden. Wir haben schon sehr viel in uns. Es braucht „einfach“ Impulse, Freiräume, geschütze Rahmenbedingungen und Ziele.

Wenn ein Ziel vorhanden ist (sprich: positiv formuliert, realistisch, überprüfbar), dann kann ich auf etwas hin arbeiten. Früher war es bei mir eher: „Ich will nicht mehr…“ Das Universum (und meine Seele) hört „nicht“ nicht, und achtet eher auf den restlichen Inhalt. Vergleiche: „Ich will nicht mehr kotzen/hungern.“ und „Ich will das essen, was mir gut tut.“ Ein riesen Unterschied. Wenn ich das essen will, was mir gut tut, gehe ich die Sache ganz anders an. Da kann ich schon Unterziele formulieren, überlegen, wie ich vorgehe. Bei „Ich will nicht mehr kotzen/hungern“ finde ich keinen Anhaltspunkt, nur „kotzen“ bzw. „hungern“.

Oje! Das ist etwas länger geworden! Ich wollte „nur“ sagen, dass es eine wohltuende Woche war und den Tipp mit der „Möglichkeitsliste“ weitergeben. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende!

Hilfe ich kann nicht mehr

Diese Phrase erscheint immer wieder bei den Suchbegriffen und heute fällt mir ein, dass dabei etwas ganz Wesentliches fehlt: „Ich kann nicht mehr…so wie bisher.“

Ich nehme an, diese Phrase ist in Verbindung mit einer Essstörung zu verstehen, aber im Prinzip ist es egal, in welchem Zusammenhang. An den Punkt zu gelangen, an dem ich das Gefühl habe: „So geht es nicht weiter. Ich kann nicht mehr,“ birgt in sich eine große Chance. Denn ich sehe es so: An dem Punkt habe ich mir endgültig bewiesen, dass ich es nicht ganz alleine und mittels „Augen zu und durch“ schaffen kann. Sonst hätte ich es ja längst getan!

Das ist der entscheidende Moment, wo ich fragen kann: Wie geht es weiter? Was habe ich für Möglichkeiten? Was bzw. wer steht mir zur Verfügung? Welche Kräfte kann ich mobilisieren — die eigenen oder die der anderen? Wie hätte ich es gerne? Wie stelle ich es mir vor, dass es mir passen würde? Das sind wirklich ganz wichtige Fragen!!

So lange ich mir nur vorstelle, was ich NICHT will, bleibt viel Raum für Angst und Unsicherheit. Da haben wir das altbekannte Phänomen: Lieber das vertraute Leiden als unbekanntes Glück. Dann ist ein erster Schritt, meine Wünsche und Vorstellungen möglichst genau auszumalen. Ob sie in Erfüllung gehen, kann ich nicht sagen, aber durch diese Konkretisierung steigt die potentielle Möglichkeit um ein Vielfaches!

Die Kurzfassung: Krise als Chance. Ich checke die Lage, überlege was ich will oder brauche, und dann welche Hilfe ich mir organisieren kann um es anzugehen. Damit beweise ich mir und anderen (falls Bedarf besteht), dass ich recht klug und erfinderisch bin! 🙂 Was ich keinesfalls tue: Alleine bleiben und mir abverlangen, alles alleine zu meistern.

Durchhaltevermögen ist eine Angelegenheit der kreativen Gestaltung. Ich setze es dann ein wenn ich weiß: Es sind ganz viele kleine Schritte notwendig und ich muss es aushalten, dass Veränderung nicht von heute auf morgen passiert. Da ist meine Kraft gut investiert!