Film des Lebens

Dieses Wochenende schenkte mir ein ganz besonderes Erlebnis. Es ging darum, mit der Seele in Kontakt zu kommen, abseits vom „Ich“. Die Seele verstehe ich als das Göttliche in mir, die Verbindung zum Universum. Mit meiner Seele als präsente Begleiterin, machte ich gestern Abend eine Übung: eine Reise vom jetzigen Augenblick zurück bis vor der Geburt — und dann noch einmal zurück in die Gegenwart.

Ich war skeptisch. Wie sollte ich so weit zurück gehen können? Nach der Ankündigung befürchtete ich, dass ich dann zum Heulen beginnen würde, wenn ich zu den kranken Jahren komme. Jede Bulimiekranke kennt das bittertraurige Gefühl, den verlorenen Jahren nachzuweinen.

Seit Jahren weiß ich im Kopf, dass alles seine Richtigkeit und Ordnung hat, und ich habe die kranken Jahre gut annehmen und mir nach und nach verzeihen können. Doch blieb noch ein Rest Unzufriedenheit, der unter der Oberfläche schlummerte und mich hier und da nervte.

Bei der Übung, passierte ich Revue auf mein Leben. Es war wie ein Dokumentarfilm im Kopf, mit meiner inneren Stimme als Sprecherin. Jahr um Jahr, Phase umd Phase, Ereignis um Ereignis wanderte ich zurück — und schaute interessiert zu. Mir wurde ganz klar und deutlich: Es gehörte wirklich alles dazu!

Alles habe ich zur Kenntnis genommen… das Leben vor der Krankheit, wie ich mich mit Kalorien befasste, wie ich zum Kotzen begann, wie ich nicht dünn genug sein konnte, sonstige wichtige Ereignisse, und dann später wie ich in die Therapie ging, gesund wurde, und wie das Leben weiter ging. Zum Schluß hatte ich ein unglaubliches Glücksgefühl: Das ist mein Leben. MEIN Leben! Und plötzlich war ich überglücklich, dass ich dieses Leben geschenkt bekommen habe. Genau so, wie es ist. Genau dieses Leben — mit allen Hochs und Tiefs, Freude und Trauer, Glücksmomente und Enttäuschungen — gehört zu mir.

Der Prozess der Abfindung mit der Vergangenheit (und auch der Akzeptanz) hat lange gedauert. Die Heilung ebenso. Es gehört dazu, das Verlorene nachzutrauern. Doch nach und nach wird die Trauer weniger. Heute spüre ich etwas Neues: Es ist nicht mehr ein Abfinden, sondern ein offenes Umarmen des eigenen Schicksals.

Diese neue Erkenntnis gilt nicht für immer und ewig. Ich bin noch auf dem Weg, mitten drin im Lebensprozess. Wahrscheinlich kommt irgendwann wieder eine Phase der Sehnsucht nach einer anderen Vergangenheit. Aber genau so möglich ist eine weitere Vertiefung des Verständnisses: „Das ist mein Leben.“

Momentan bin ich zufrieden. Mein Leben als Film zu sehen, zeigte mir: Es gehört wirklich alles dazu. Ich kann es anschauen, ohne zu werten. Wie bei einem echten Film, gibt es Passagen, die mir besser oder weniger gut gefallen, die mich zum Lachen oder zum Weinen bringen, aber ich würde nichts ausschneiden. Dann wäre es nicht derselbe Film! Ich bin gespannt: Der Film ist noch nicht zu Ende!

Ich wünsche dir alles Gute für den eigenen Film! 🙂

Verlorene Zeit

Es war recht ruhig bei mir in letzter Zeit, obwohl ich nichts geschrieben habe. Es passiert innerlich so viel, dass ich einfach nicht schreiben kann. Doch heute geht es. I habe das Manuskript für das Buch fertig, ein paar neue Lieder geschrieben, und hole wieder tief Luft.

Diese Übersetzung hat mich viel mehr beschäftigt als das Original in Englisch. Dadurch, dass ich genauer überlegen musste, wie ich etwas formuliere, ist es tiefer gegangen. Also habe ich noch ein paar Mal die letzten 20 Jahre „erlebt“ und bin emotional durch die Hölle gegangen.

Es tut wirklich weh zu erkennen, dass meine innere Stimme bzw. Intuition völlig Recht hatte, aber ich traute mich nicht, darauf zu hören. Es fehlte mir an Selbstbewusstsein und Mut. Na ja, so war es und ich verzeihe mir. Dafür bin ich jetzt achtsam und mutig geworden.

Der Schluss von der deutschen Ausgabe ist anders, und ich möchte sie gerne mit euch teilen:

Ein paar Worte über verlorene Zeit

Gibt es die verlorene Zeit? Manchmal war ich traurig und stresste mich selbst mit der Vorstellung, was ich alles versäumt hatte. Nach der Gesundung machte ich mich fast kaputt mit der Anstrengung, möglichst viel nachzuholen, die Zeit möglichst gut zu nützen und keine Zeit mehr zu verlieren.

Als mein zweites Kind ca. drei Jahre alt war, merkte ich, wie erschöpft und ausgelaugt ich war. Es waren unglaublich dichte Jahre! Ungefähr zu der Zeit, als ich begann, mich zu entspannen, fing es mit der Musik an.

Inzwischen bemühe ich mich, die Leistungsansprüche etwas niedriger zu halten. Wenn es mir gelingt — was nicht immer der Fall ist, habe ich eine deutlich bessere Lebensqualität.

Es ist nicht leicht. Die verlorenen Jahre sind eine bittere Wahrheit. Und doch sind diese Jahre nicht verloren. Ich war halt mit anderen Dingen und Lernprozessen beschäftigt. Ich habe Erfahrungen gesammelt und Forschung betrieben, um mich auf das jetzige Leben vorzubereiten.

Es hat sich durchaus gelohnt! Ein Ergebnis dieser Erfahrungen und Forschung ist die Erkenntnis, dass ich es bevorzuge, das Defizitmodell abzulegen. Stattdessen betrachte ich es so: Es hätte ja sein können, dass ich noch länger krank war. Dadurch, dass ich gesund wurde, habe ich viele Jahre gewonnen! Jeder gesunder Tag ist ein gewonnener Tag!

Unangenehme Gespräche

Vorgestern hat mir jemand ein ganz liebes Kommentar geschrieben: „Mir hilft immer der Spruch von Rüdiger Dahlke: Oft korreliert Lebenserfolg erstaunlich mit der Bereitschaft, unangenehme Gespräche zu führen.
Und dann noch von Mark Twain: Es gibt unendlich viele schwere Sorgen, doch die meisten von ihnen treffen gar nicht ein.“ Ich hatte zwar das Gespräch schon geführt, aber es tat gut, diese Zeilen zu lesen. Vor allem weil am nächsten Tag schon wieder Versöhnung angepeilt wurde. Das kenne ich von Früher: Wir trennten uns schon ein paar Mal, versöhnten uns, redeten viel, dann schlich sich der Alltag ein und bald war es so, als wäre nie etwas gewesen. Also ist mir klar, dass noch einige unangenehme Gespräche folgen werden.

Es ist ein wichtiger Prozess, der hier stattfindet. Viele meine Ängste haben nichts mit ihm zu tun, aber ich hatte sie immer auf ihn projiziert. Dennoch beschloss ich, zu reden. Also machte ich ihm etwas zu essen, machte eine Flasche Rotwein auf, füllte zwei Gläser und — als er mit dem Essen fertig war — fragte ihn, ob er bereit war, sich auf ein langes Gespräch einzulassen. Das war er. (Ich ließ ihn fertig essen. Das Essen sollte man genießen. Ernste, aufregende, oder emotionale Gespräche sind hier fehl am Platz.)

Dann sagte ich, was ich zu sagen hatte. Wir haben uns viel Mühe gegeben, aber es funktioniert nicht und ich will die Beziehung beenden. Wir sind noch relativ jung. Wir können  beide neu anfangen. Wir haben noch viel Leben vor uns. Wir einigten uns, gegenseitige Vorwürfe zu unterlassen. Die hätten sich bestimmt die Waage gehalten. Wir haben beide viele Fehler gemacht, aber stets unser Bestes gegeben.

Die ganze Geschichte ist sehr traurig. Ich wollte meinen Kindern das Schicksal einer Scheidung ersparen, aber schaffe es nicht. Ich litt sehr wegen der Scheidung meiner Eltern und die Beziehung zu meinem Vater war dadurch sehr gestört. Doch etwas machen wir schon besser. Ich sagte meinem Mann, dass es mir wichtig ist, dass wir mit den Kindern reden. Wir sollen ihnen erzählen, dass es nicht klappte obwohl wir uns so bemühten, und dass wir uns trennen werden. Dennoch heißt das nicht, dass wir uns von ihnen trennen. Wir werden darauf schauen, dass es ihnen so gut wie möglich geht, und sie können entsprechend mitreden, was die Zukunft betrifft. Sie werden keine Loyalitätskonflikte ausbaden müssen. Wir sind beide für sie da. Wir machen uns nicht gegenseitig schlecht.

Mein Mann meinte, ich könnte nach Amerika zurück und die Kinder mitnehmen. Dort finde ich einen anderen Mann bzw. Vaterfigur für sie. Das will ich nicht. Er ist ihr Vater und es steht ihm und ihnen zu, diese Beziehung zu leben. Bestimmt kann es sein, dass ich einen anderen finde, aber der Vater meiner Kinder bleibt in unserem Leben. Mir ist klar, dass ich Idealvorstellungen habe. Die Realität wird wahrscheinlich anders werden, aber konkrete Vorstellungen und Wünsche sind hilfreich.

Meine tief sitzenden Ängste kommen hoch. Ich erkenne und benenne sie und merke, wie sie dahinschwinden. Ich bin sehr erleichtert! Es stehen noch einige Gespräche bevor, aber ich bin zuversichtlich. Ich fühle mich stark und fähig, mein Leben zu ändern.

Noch ziehe ich nicht aus. Es gibt noch Einiges zu besprechen. Es hat auch keine Eile. Ich denke, das wird erst dann zum Thema wenn einer von uns eine neue Beziehung eingeht. Keiner von uns will momentan ohne Kinder leben. Also bleibt es vorerst so, wie gehabt, nur mit etwas mehr Klarheit.

Am nächsten Tag meinte er, wir können nicht 25 Jahre einfach wegwerfen, und so schnell werde ich ihn nicht los. Das stimmt sicher. Ich habe auch nicht vor, 25 Jahre wegzuwerfen, sondern einen neuen Weg einzuschlagen. Und durch die Kinder werden wir lebenslang in Verbindung bleiben, auch wenn wir uns trennen.

Ich wünsche mir noch, dass wir eine Paartherapie machen — nicht um die Beziehung zu retten, sondern um eine bessere Gesprächsbasis herzustellen. Sie kann uns jetzt helfen, die Situation besser zu meistern, und vielleicht hilft sie uns bei unseren zukünftigen Beziehungen. Wer weiß? Aber ich will auf jeden Fall vorwärts gehen!

Ich versicherte ihm, dass ich für alles dankbar bin, was er für mich je getan hat. Ich hasse ihn nicht und ich wünsche ihm das Allerbeste im Leben. Ich wünsche ihm Glück und Freude. Das verdient er. Wir beide verdienen es.